Wie öko ist eine Oper auf dem See?
von Wolf-Dieter Obst, 23.06.2018 – Stuttgarter Zeitung
Stuttgart – Es ist ja nicht so, dass Ökologen die Oper verschmähen würden. Die klassische Musik kennt Flora und Fauna, es gibt Werke wie Hummelflug, Schwanensee oder Blumenduett. Auch ein promovierter Gewässerbiologe wie Klaus Zintz bekommt bei Verdis La Traviata immer noch Gänsehaut. Doch ein Interimsbau der Oper auf dem Eckensee? Ist das eine sinnvolle Verknüpfung von Klassik und Klimatologie?
Kein Zweifel, der 99. Stadtspaziergang der Stiftung Geißstraße und der Stuttgarter Zeitung ist ein ungewöhnlicher: Es geht um Ökologie in der Stadt, um Dinge, die der Stadtbummler vor der Nase hat und doch nicht sieht. Erst wenn wieder einmal die Sonne in den Stadtkessel brennt, wenn die Betonlandschaften in der City flimmern und die Menschen etwas Schatten und eine kühle Brise herbeisehnen – dann finden sie vielleicht Gehör, die Mahner. Dass in eine Stadt Grün gehört. Außer Shops und Wohnungen auch Bäume, Pflanzen, Wiesen, Gewässer, Frischluftschneisen. „In einer sich klimatisch verändernden Zeit ist das wichtiger denn je“, sagt Michael Kienzle von der Stiftung Geißstraße.
Das Parkhaus als Schrebergarten
Klaus Zintz, der Mann, der sich am Samstag mit 40 Teilnehmern zum Stadtspaziergang Richtung Eckensee aufmacht, ist nicht nur ein Experte mit Doktortitel in Sachen stehende Gewässer. Seit 1990 ist er der „Ober-Öko“ der Stuttgarter Zeitung, Redakteur im Wissenschaftsressort, mit Lehrauftrag an der Uni Hohenheim. Dabei ahnen die Spaziergänger nicht, welchen ökologischen Beitrag sie leisten werden, als sie sich von der Geißstraße auf den Weg machen. Das wird erst am Eckensee verraten.
Der Weg führt zunächst zu einem Ort, der nicht gerade ökologisch anmutet: Das Züblin-Parkhaus. Der Betonbau am Rande der Altstadt, der auswärtige Stadtbesucher Abstellmöglichkeiten für ihre Autos bietet, hat seit fünf Jahren einen Schrebergarten auf dem Dach. Urban Gardening, wie es auf Neudeutsch heißt. Ein Projekt auch mit sozialen Folgen: „Dort oben wird keine einzige Tomate geklaut“, sagt Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Das ist bemerkenswert für eine Örtlichkeit, die sonst von den Begleitumständen der Drogenszene und des Rotlichtviertels von sich reden macht. Für Zintz, den Öko-Onkel unter den Zeitungsleuten, ein leuchtendes Beispiel einer Baubotanik, wie es sie noch öfter geben sollte. Zu wünschen wäre das auch für den Hochhausbau am Milaneo, der eine begrüne Fassade bekommen sollte. Dass nun der Brandschutz dagegen spreche, ist für Zintz nur die halbe Wahrheit: „Es geht ums Geld.“
Das Fahrrad, der Dachs und der Akku
Den Weg in die Stadt hat Zintz ökologisch korrekt von Sillenbuch mit dem Fahrrad gefunden, indes einem E-Bike. Zintz und ein querender Dachs haben dies unfallfrei überstanden. An der Elektromobilität führe kein Weg vorbei, sagt der Zeitungsmann. Auch wenn die Akkubatterie, die er beim Stadtspaziergang im Rucksack mit sich trägt, ein Problem ist. Der Akku und das Lithium, das Elektroauto und der enorme Strombedarf. Die Technologie mache aber Fortschritte, sagt Zintz im Dorotheenquartier, wo sich das E-Luxusauto Tesla ins Schaufenster stellt. „Die Städte werden sich Abgase nicht mehr leisten können.“
Inzwischen haben Zintz und die 40 Stadtspaziergänger den Akademiegarten erreicht – und dort, eingeklemmt zwischen Charlottenplatz, B14, Landtag und Rückseite des Neuen Schlosses, entdecken wir eine Blumenwiese – ungemäht. „Ein nicht gemähter Rasen wäre 1977 bei der Landesgartenschau noch eine Majestätsbeleidigung gewesen“, sagt Klaus Zintz. Doch diese Wiese sei Lebensraum und Nahrungsquelle für vielfältige Insektenarten.
Die überraschende Ökobilanz am Eckensee
Der Weg endet am Eckensee. Eine frische Brise weht durch die sonnenerhitzte Luft. Keine Entenfütterer zu sehen: „Das ist oft nicht füttern, sondern Brot entsorgen“, sagt Zintz, der Gewässerbiologe. Und dann habe man bald kein Gewässer mehr, „sondern eine Erbsensuppe“. Vermeintliche Tierfreunde berücksichtigten dabei nicht, dass sich toxische Bakterien entwickelten, die für Wassergeflügel mitunter tödlich seien. Der Eckensee, so Zintz, sei wie der Schlossgarten eine wichtige Klimaschneise in der Stadt. Die kalte Luft könne ungehindert wie ein Fluss durch die Stadt strömen. Was würde an dieser Stelle ein fünfgeschossiges Bauwerk bedeuten, als Ersatzbau für die zu sanierende Oper, fragt Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle. Für Zintz ist das keine Frage: „Klimatologisch ein No-Go.“ Und da gibt es großen Applaus, und wie bei Verdis La Traviata bekommt Zintz Gänsehaut.
Applaudieren dürfen sich die Stadtspaziergänger auch selber: Zu ihrer Überraschung erfahren sie, dass sie zusammen 14,4 Kilo Kohlendioxid eingespart haben. Weil sie die 1,74 Kilometer nicht mit einem Auto gefahren sind, das neun Liter Benzin pro 100 Kilometer verbraucht hätte. „Und wie wäre das bei einem Diesel?“, fragt einer. Bei sechs Liter Verbrauch wären das 10,8 Kilo.