Ein Altbau wurde zur Todesfalle

von Bettine Wieselmann, 17.03.2014 – Süd West Presse

Das ausgebrannte Haus Geißstraße 7 1994
Das ausgebrannte Haus Geißstraße 7 1994 © dpa

Stuttgart: Stuttgart gedachte gestern der schlimmsten Brandkatastrophe nach dem Krieg: Vor 20 Jahren starben sieben Menschen bei einem Brandanschlag. Danach gründete sich eine Stiftung, die sich bis heute sozial engagiert.

Das schmucke Jugendstil-Gebäude Geißstraße 7 am Hans-im-Glück-Brunnen hat einen frischen, sandfarbenen Anstrich, die Eingangstür riecht noch nach neuem Lack, die Heizung ist modernisiert, Fenster und Dach sind abgedichtet – vor allem aber sind die neuesten Brandschutzvorgaben berücksichtigt. 20 Jahre nach dem verheerenden Brand ist noch einmal viel Geld in das Haus in dem engen Altstadt-Quartier gesteckt worden, aus dessen stehengebliebenen Mauern noch den ganzen 16. März 1994 ein stechender Brandgeruch drang.

Um 3.30 Uhr schlugen die ersten Flammen aus der Eingangstür und dem ersten Stock. Minuten später breitete sich das gelegte Feuer über das hölzerne Treppenhaus bis in den fünften Stock unter dem Dach aus. Zwei Stunden kämpfte die ganz in der Nähe stationierte Feuerwehr gegen das Inferno. Zahlreiche Menschen retteten sich über Drehleiter und Sprungkissen. Eine 57-Jährige Jugoslawin verfehlte es – sie starb noch an Ort und Stelle. Für sechs Menschen, Deutsche, Türken, Kroaten, darunter zwei kleine Kinder im Innern kam alle Hilfe zu spät. 16 Personen wurden verletzt, acht von ihnen schwer.

An die 50 Menschen, die meisten ohne Aufenthaltsgenehmigung, so rekonstruierte man später, müssen in der Geißstraße 7 unter ärmlichsten Verhältnissen und Missachtung aller brandschutzrechtlichen Vorschriften gelebt haben. Nach den Anschlägen in Mölln (1992) und Solingen (1993) schien manchen ein ausländerfeindlicher Hintergrund naheliegend. Der Verdacht bestätigte sich nicht: 1995 wurde ein psychisch Kranker gefasst, der nicht nur in Esslingen sieben Brände gelegt hatte, sondern auch die Tat in der Geißstraße gestand. Das Urteil: 15 Jahre Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung.

Dass die Geißstraße 7 auch heute noch eine Adresse in der Landeshauptstadt ist, dafür hat noch im Juni 1994 eine Initiative um den Grünen-Stadtrat Michael Kienzle gesorgt. Es wurde die gemeinnützige “Stiftung Geißstraße sieben” gegründet – mit dem Ziel der Völkerverständigung. Im Laufe der Jahre hat sie zahlreiche kulturelle und soziale Aktivitäten entfaltet. Die Gebäude-Besitzerin, die Stuttgarter Hofbräu AG, brachte die Immobilie als Schenkung in die Stiftung ein.

Von Grund auf renoviert bietet das Haus seit zwei Jahrzehnten wieder Wohnraum für sozial schwache Mieter. Die Stiftung, deren ehrenamtlicher geschäftsführender Vorstand immer noch Kienzle ist, finanziert sich aus Mieten sowie Pachteinnahmen der im Erdgeschoss untergebrachten Gastronomie. Ein Schild neben dem Eingang erinnert an den 16. März 1994 und lässt wissen, dass die “Stiftung Geißstraße sieben” dafür “arbeitet, dass unterschiedliche Lebensstile und Nationalitäten zusammenfinden”.