Die digitale Zukunft der Zeitung
von Wenke Böhm, 16.11.2015 – Stuttgarter Zeitung
Der Lärm ist ohrenbetäubend, es riecht nach Farbe, schwarze Streifen auf dem Fußboden lassen den Stress erahnen, der hier zeitweise herrscht. Auf der linken Seite rotiert Papier um eine fast mannshohe Rolle – zu schnell, um auch nur eine Idee vom Text zu bekommen. Mit Kopfhörern auf den Ohren und gespannten Blicken verfolgen rund 40 Menschen das Geschehen. An diesem Abend findet der traditionelle Stadtspaziergang von Stiftung Geißstraße und Stuttgarter Zeitung unter Dach statt, im Pressehaus von Möhringen, wo die Stuttgarter Zeitung ihren Sitz hat.
Ein Blick ins Ausschusskörbchen der Druckerei zeigt: Noch ist es die Beilage eines Elektronikmarktes, die an diesem Freitagabend vom Band läuft. Aber nicht mehr lange, denn es geht bereits auf 18.30 Uhr zu. ‘In der Redaktion ist jetzt der Blutdruck auf 180’, sagt Lokalchef Holger Gayer. Gleich starte der Andruck der ersten Ausgabe, deshalb müssten die Kollegen sehen, ‘dass sie die Seiten vom Hof kriegen’.
Die Stuttgarter Zeitung ist eine von 350 Tageszeitungen in Deutschland, aber eine von nur acht, die im Bundestag ausliegen, sagt Peter von Schnakenburg, der die Gruppe mit durchs Haus führt. Seit 70 Jahren gibt es das Blatt, seit etwa 40 Jahren wird es im Pressehaus Möhringen gedruckt.
Die Redakteure sichten die tägliche Flut von Nachrichten. Sie wählen aus, überprüfen, recherchieren, verdichten das Ganze schließlich zu Meldungen – in 15 verschiedenen Ausgaben, zugeschnitten auf die regionale Leserschaft. ‘Würden wir nicht auswählen, dann hätten Sie jeden Tag etwa einen Quelle-Katalog in Ihrem Briefkasten’, erklärt Gayer. ‘Der würde da gar nicht reinpassen’, ist die prompte Antwort einer Leserin. So bleibe am Ende eine Zeitung, die etwa den Umfang eines Taschenbuches habe, machen die Fachleute deutlich.
Wie Nachrichten aufs Papier kommen, sehen die Besucher im Druckzentrum. Sie erfahren, dass die Seiten vom Computer auf die Druckplatten gesendet werden, später in den Farben Magenta, Cyan, Yellow und Schwarz auf das recycelte Zeitungspapier gedruckt werden. Sie sehen fünf Kilometer Transportbänder, die sich wie Schlangen unter der Hallendecke winden, und die Verladezone mit Transportern.
Michael Kienzle, der geschäftsführende Vorstand der Stiftung Geißstraße, hatte zur Begrüßung gesagt: ‘Zeitung ist ganz wichtig für das kulturelle Leben einer Stadt. Sie ist das Rückgrat der Gesellschaft und ein großer Faktor der Stabilität und der Aufklärung.’ Gerade deswegen beschäftige ihn das Zusammenwachsen der Zeitung mit den Stuttgarter Nachrichten sehr. Gayer macht deutlich: Es sei wichtig, dass die Stuttgarter Zeitung den Anschluss an den digitalen Markt nicht verpasse, sondern genau dort ihre Stärken ausspiele: seriösen Journalismus, Einordnung von Nachrichten, meinungsstarke Kommentare. Der Lokalchef erinnert an ein Zitat von Wilhelm II. – ‘Ich glaube an das Pferd. Das Auto ist eine vorübergehende Erscheinung’ – und fragt: ‘Wie viele Pferdefuhrwerke sehen Sie heute auf der Straße?’
Trotzdem sei er überzeugt, dass es weiterhin eine Nachfrage nach gedruckter Zeitung gebe. ‘Allein das Gefühl, dieses Papier in der Hand zu haben, ist ein sinnliches Erlebnis’, schwärmt Gayer. Befürchtungen, dass es später wie in anderen Orten zwei Zeitungen mit identischem Inhalt gebe, müssten die Leser nicht haben. ‘Wir sind Schwaben, ein Volk von Tüftlern.’ Es werde Teams geben, die ausschließlich für die jeweilige Marke arbeiten. Gayer: ‘Die Meinungspluralität müssen wir uns erhalten.’