Fritz von Graevenitz in der NS- und Nachkriegszeit
Ein Stuttgarter Künstler
Beim Nachdenken über „toxische Denkmäler“ in der Stadt sind wir auf den Künstler Fritz von Graevenitz gestoßen:
Bildender Künstler, Direktor der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart bis 1938-45, familiär verbunden den Familien v. Weizsäcker und Bosch, Schöpfer zahlreicher Skulpturen im öffentlichen Raum in Stadt und Land.
Graevenitz hat sich in Schrift und bildnerischem Schaffen früh den Nationalsozialisten angedient, er hat Hitler, den Krieg und das Volkstum in seinen Werken verherrlicht. Die Nazis haben ihn früh protegiert, Hitler nahm ihn noch 1944 in die Liste der Gottbegnadeten als unersetzbaren Künstler auf.
Graevenitz hat neben dem Schloss Solitude ein eigenes Museum – das einzige Museum in Stuttgart, das nur einem Künstler gewidmet ist.
Die Notwendigkeit der Kontextualisierung
Fritz von Graevenitz war ein hochbegabter Künstler. Doch wie viele andere Kunstschaffende hat er seine Kunst verraten, indem er sie in den Dienst der mörderischen nationalsozialistischen Politik stellte.
Solch ein künstlerischer Opportunismus war in Süddeutschland verbreitet. Unrühmliche Beispiele dafür wären seine Zeitgenossen Josef Zeidler, Hans Thoma, Fritz Nuss oder Jakob Fehrle.
Die meisten von ihnen haben nach 1945 weiterarbeiten können, als sei nichts gewesen. Sie wurden öffentlich gefördert und ausgestellt, ohne dass ihre Verstrickung ins NS-System problematisiert, angemerkt oder konnotiert worden wäre.
Auch die Ausstellung beim Schloss Solitude beschwieg die Nähe des von Graevenitz zur NS-Ideologie.
Die Stiftung Geißstraße wandte sich deshalb an die Stiftung Fritz von Graevenitz und forderte eine historisch korrekte Darstellung. Nach einer anfänglich schwierigen Diskussion sicherte die Stiftung eine Ergänzung der Ausstellung zu.
Dieses Versprechen hat sie eingehalten und hat die Arbeiten aus der Zeit des Nationalsozialismus in den Mittelpunkt gerückt. Die Ausstellung ist dadurch richtiger und interessanter geworden.
Das zarte Reh (1930), die leichten Landschaftsbilder im Kontrast zu der Handgranatenwerfer -Skulptur in Granit (1938) oder dem überdimensionierten Reichsadler mit Hakenkreuz (Königsberg, 1938,): Wie passt das alles zusammen?
Kunst dient der Freiheit, der Empathie. Wer seine Kunst opportunistisch an die Mächtigen verrät, nimmt schwere Schuld auf sich. Das müsste jetzt eigentlich jedem und jeder im Museum Fritz von Graevenitz dämmern.
Aber auch die zahlreichen Graevenitz-Werke im öffentlichen Raum Stuttgarts und Baden-Württembergs sollten zum besseren Verständnis des Künstlers und seiner Arbeiten konnotiert werden.
Das sind vor allem die Büsten von Eugen Bolz, der auf Hitlers Befehl in den letzten Tagen des Dritten Reichs geköpft wurde. Sie stehen im Foyer des Landtags sowie im Staatsministerium Baden-Württemberg! Aber auch der „Engel des Gerichts“ über der Kanzel der Stiftskirche. Und sogar eine Straße in Gerlingen ist nach dem Ehrenbürger dieser Stadt benannt: Nach dem Prof. Fritz von Graevenitz.
Graevenitz und das Dritte Reich
Wir haben eine Fülle eindeutiger Belege gefunden, die seine Verehrung für die Person Adolf Hitler und seine Glorifizierung des Krieges verdeutlichen.
Nachkriegszeit
Nachdem er die Akademie verlassen musste, arbeitete er weiter auf der Solitude, vorzugsweise für die öffentliche Hand. Er modellierte nun nicht mehr Büsten von Nazi-Größen (1943: Büste von Christian Mergenthaler, 1935/36: Büste Adolf Hitler) oder riesige Reichsadler mit Hakenkreuz (Reichsadler [6 Meter Spannweite], Bronze, 1938, Königsberg i. Pr., Erich-Koch-Platz (gefertigt in Süßen BW), sondern den Kopf von Robert Bosch. Und 1951 sogar den von Eugen Bolz (zur digitalen Ansicht der Büste). Genau der steht heute prominent im Foyer des Landtags von Baden-Württemberg, eine Replik befindet sich im Staatsministerium.
Literatur: Müller, 2012 (Diss.), S. 300f., Graevenitz, Werden und Werk, 1939, Abb. 1 und 34.
Fragwürdig erscheint uns heute der Auftrag an Graevenitz, eine Bolz-Büste zu fertigen.
Ausgerechnet von Eugen Bolz, dem Staatspräsidenten und widerständigen Demokraten, der noch im Januar 1945 auf Freislers Geheiß geköpft wurde! Wie konnte man, wie kann man bis heute einem Unterstützer des Nazi-Regimes das Recht des Gedenkens an das Opfer überlassen?
Unsere Absicht
Die Stiftung Geißstraße befasst sich mit Erinnerung und Erinnerungskultur. Durch Publikationen und Projekte wie der Initiierung der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ oder des Joseph-Süß-Oppenheimer-Platzes, durch Vorträge und Veranstaltungen.
Die Stiftung Geißstraße möchte eine Graevenitz-Rezeption ohne mächtige Mystik. Seine Vergangenheit, seine Verstrickungen und seine Verdienste sollen kommentiert werden und wissenschaftliche Verweise sollen den Weg in die Rezeption finden.
Die Stiftung Geißstraße wünscht sich einen Dialog, die Auseinandersetzung und eine sachliche, offene Rezeption.
Pressespiegel
Blogbeitrag der Vogtpost zu Graevenitz Kunst im öffentlichen Raum in Stuttgart. (Link zum Blog zu Graevenitz’)
Andreas Langen: NS-Künstler im öffentlichen Raum? Überfällige Debatte zu Fritz von Graevenitz beginnt, aus der Sendung Journal am Mittag, SWR2 vom 21.2.2022 12:33 Uhr. (Link zur Sendung)
Ulrich Feldhahn: Wogenprall, Wogenglättung – NS-Kunst im öffentlichen Raum, veröffentlicht auf LinkedIn am 16.2.2022. (Link zum Beitrag)
Literatur und weiterführende Links
Im Internet:
- Stellt sich das Stuttgarter Graevenitz-Museum der NS-Vergangenheit des Bildhauers Fritz von Graevenitz? von Silke Arning in: SWR2 Journal am Mittag (SWR vom 29.1.21), (abgerufen am 13.1.22).
- Der Bildhauer Fritz von Graevenitz , von Dietrich Heißenbüttel (StZ vom 14.10.13), (abgerufen am 13.1.22).
- Statue by Nazi artist no longer display at St. Mary’s College von Gabriel Greschler, in: J. The Jewish News of Northern California, may 18, 2021, (abgerufen am 13.1.22).
- Pressemitteilung der Stadt Tuttlingen über den Bürgerdialog zum Graevenitz-Denkmal vom 18.11.2021, (abgerufen am 1.3.22).
Der Internetauftritt des Graevenitz-Museums:
Primärliteratur:
- Graevenitz, Fritz v.: Bildhauerei in Sonne und Wind, Stuttgart 1935.
- Ders.: Wer Künstler werden will… In: Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Stadt der Auslandsdeutschen, Stuttgart 1939.
- Ders.: Werden und Werk, Stuttgart 1939.
- Ders.: Kunst und Soldatentum, Stuttgart 1940.
- Ders.: Höchenschwander Tagebuch, Stuttgart 1943.
- Ders.: Plastik, Malerei, Graphik, Stuttgart 1980 (2. Aufl.).
Sekundärliteratur:
- Die Liste der „Gottbegnadeten“. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik, hrsg. v. Wolfgang Brauneis und Raphael Gross, München 2021.
- Hesse, Wolfgang: Gesinnung bildhauerisch. Fritz von Graevenitz’ „Mutter Heimat“, in: Stuttgart im Dritten Reich. Die Machtergreifung, 1983, S. 47-49.
- Hüppauf, Bernd: Schlachtenmythen und die Konstruktion des „Neuen Menschen“, 1993.
- Müller, Julia: Der Bildhauer Fritz von Graevenitz und die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zwischen 1933 und 1945, Stuttgart 2012 (Diss.).